12.01.2017

Mutismus

Stuttgarter Rahmenempfehlungen zur Mutismustherapie (SRMT)

 

  1. Das Ziel einer jeden Mutismus-Therapie ist die verbal-kommunikative und psychosoziale Öffnung des Mutismus und damit das dialogische Sprechen unabhängig von Situation und Person.
  2. Bei der Behandlung der Kommunikationsstörung Mutismus kommen psychiatrische, psychologische, sprachtherapeutisch/logopädische und ergotherapeutische Ansätze in Frage. Der Mutismus erfordert in Abhängigkeit von der individuellen Symptomatik eine interdisziplinäre Zusammenarbeit.
  3. Eine Mutismus-Therapie sollte durch eine konsequente Elternberatung das System der Kernfamilie mit einbeziehen, um aufrechterhaltende Faktoren durch die Angehörigen zu beseitigen.
  4. Um einen Transfer des Sprechens aus dem therapeutischen Setting in den Alltag zu gewährleisten, ist eine enge Kooperation mit dem institutionellen Umfeld der Betroffenen (Kindergarten, Schule, Ausbildungsbetrieb, Jugendamt, Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsstelle) notwendig.
  5. In der Behandlung des Mutismus sind direktive, verbale Behandlungsansätze, die von Beginn an am Sprechen ansetzen, zu bevorzugen, um Gewöhnungseffekte des Nicht-Sprechens bei den Betroffenen zu vermeiden. Als ambulante Therapiefrequenz sind zwei Behandlungsstunden pro Woche zu empfehlen.
  6. Nondirektive, nonverbale Therapieverläufe, die innerhalb eines Jahres weder im therapeutischen Setting noch im außerfamiliären Kontext zum Sprechen führen, sind abzulehnen, da sie der Aufrechterhaltung und Chronifizierung der mutistischen Symptomatik dienen und den subjektiven Krankheitsgewinn fördern.
  7. Effiziente Therapieansätze evozieren eine verbal-kommunikative Öffnung und erste lautsprachliche Äußerungen innerhalb von zwanzig Therapieeinheiten.
  8. Im schulischen Kontext sollte eine Notenbefreiung des Mündlichen genauso vermieden werden wie eine Unterrichtsassistenz. Beides unterstützt ebenfalls die Aufrechterhaltung und Chronifizierung des Schweigens und kann zu einer Sekundärsymptomatik (kognitive und sprachpragmatische Leistungsinsuffizienzen, sekundäre Verhaltensstörungen) führen.
  9. Vor dem Hintergrund, dass der Mutismus ab dem Jugendalter häufig von weiteren psychischen Erkrankungen begleitet wird, sollte im Jugend- und Erwachsenenalter eine Testdiagnostik Richtung Sozialphobie, Depression und Zwänge vorgenommen und Komorbiditäten in der Behandlung berücksichtigt werden.
  10. In besonders therapieresistenten Fällen ist die Indikation für eine flankierende Medicotherapie zu diskutieren. Die Fachliteratur empfiehlt bei Mutismus die Wirkstoffgruppe der sogenannten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Eine medikamentöse Unterstützung ist in einen Gesamtbehandlungsplan einzubetten.